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Kapitel
3 - "Ein bunter Haufen"
2 Tage später ...
Obwohl
es bereits spät am Abend ist, und die Sonne vor Stunden hinter dem
Horizont verschwand, ist es draußen gleißend hell. Schuld daran ist
die übertriebene Beleuchtung des Geländes. Die Sicherheitsmaßnahmen
hier sind einfach absurd. Die Angst vor Betriebsspionage grenzt
meiner Ansicht nach an Paranoia. Wegen der ständigen Beleuchtung
haben einige der Tester Probleme beim Einschlafen, weswegen sie es
vorgezogen haben ein Zimmer außerhalb des Geländes zu mieten.
Diesen Luxus kann ich mir nicht leisten. Davon abgesehen sind sie
auch draußen unter ständiger Überwachung, damit sie ja nichts
ausplaudern.
Viele
der Teilnehmer sind im Vorfeld in das Test-Programm eingeladen
worden, Alina ist eine davon. Ein ausgeglichenes Verhältnis von
Männern und Frauen aus verschiedenen Sozialen Umfeldern, mit
verschiedenen beruflichen Ausrichtungen und verschiedenen Hobbys. Ich
bin einer der Wenigen, die über eine reguläre Bewerbung ins
Programm kamen. Man hat offenbar versucht eine möglichst große
Vielfalt an möglichen Zielgruppen ins Projekt mit einzubeziehen -
mit Erfolg, wie ich meinen mag. Kindern ist das Cyber-Diving wegen
der erhöhten Risiken grundsätzlich untersagt, deswegen gibt es in
unserer Gruppe nur Erwachsene. Insgesamt sind wir 20 Leute, aber man
sagte uns, dass die Gruppe für den zwei-monatigen Test um ein
vielfaches anwachsen würde und dass das Auswahlverfahren bereits
läuft.
Ich
frage mich, wie sie uns alle gleichzeitig in die Simulation bringen
wollen, in dieser Einrichtung gibt es gerade mal genug Anlagen für
die derzeitige Gruppe.
Während
ich meine Gedanken träge vorbeiziehen lasse, flimmert vor mir auf
der gewaltigen Plasma-Wand der Fernseher mit den Abend-Nachrichten.
Bilder von zerstörten Gebäuden, weinenden Frauen und überfüllten
Lazarett-Zelten. Männer in Militär-Uniformen räumen irgendwelche
Trümmer bei Seite. Der Ton am Fernseher ist aus, es ist auch so
alles verständlich. Obwohl der Tsunami an der asiatischen Süd-Küste
bereits mehrere Wochen her ist, steigt die Anzahl der gefundenen
Toten immer noch rapide an. Die UN wirft dem asiatischen Sektor vor,
dass der Tsunami das Resultat von illegalen Waffentests sei, währen
diese wiederum den Amerikanern vorwerfen, geologische Waffen
eingesetzt zu haben ... [Was für ein Chaos ...]
Ich
bin gelangweilt ...
...
Was seltsam ist. Angesichts von solchem Schrecken ... [sollte mich
das nicht berühren?] ...
...
Ich schätze ich bin einfach abgestumpft. Ich sehe diese Bilder nun
seit ich denken kann in den Nachrichten ... mal ist es ein
Zugunglück, mal ein illegaler Chemiewaffentest, mal Opfer nach
militanten Demonstrationen, Terroranschläge ... wie könnte ein
einzelner Mensch so viel Mitgefühl aufbringen?
[Unmöglich
...] Wenn ich für die ganze Welt Mitgefühl zeige, dann bleibt
nichts mehr übrig für die, die mir nahe stehen.
Außerdem
ist es 2 Tage her seit diesem letzten Test, an dem ich mit Alina
teilgenommen habe. Seit dem hatte ich praktisch nichts zu tun.
Außer mir sind noch drei weitere Leute im Aufenthaltsraum:
“Raul”,
ein dicklicher Mann mittleren Alters, dessen Eltern aus dem Nahen
Osten immigrierten, als er noch klein war. Seinen Nachnamen kann ich
mir nicht merken. Von Beruf her macht er etwas mit Telekommunikation.
Wenn er seinen Job beschreibt, klingt seine Arbeit sehr wichtig. Er
ist recht gesellig, aber es ist schwierig sich mit ihm über
komplexere Themen zu unterhalten. Seine Lebensphilosophie ist mir ein
Retsel; Er kann in einem Laden eine halbe Stunde lang um irgend eine
kleinigkeit feilschen, nur um den Preis um 5 cent weiter runter zu
drücken. Aber er ist auch bereit die gleiche Sache dem erstbesten zu
schenken, aus reiner Herzensgüte. Im Übrigen ist er eher
unkompliziert - Er ist vor einer guten halben Stunde auf der Couch
eingeschlafen.
Dann
ist da noch “Lindsay Rogers”, die am Kaffeetisch mit dem Rücken
zum Fernseher sitzt und ein Buch liest. Sie wirkt wie ein typisches,
reiches, verwöhntes Mädchen, das sich für "zu gut für diese
Welt" hält. Meist kleidet sie sich in einer modernen Retro-Art,
Wodurch sie auf sehr stilvolle Weise Altmodisch wirkt. Auch ist mir
aufgefallen, dass sie penibel auf details achtet. Eine
Perfektionistin. Andern gegenüber ist sie meist abweisend und tut
so, als ob sie über den Dingen steht. Umso seltsamer ist es, dass
sie so viel Zeit in der Gegenwart anderer Leute verbringt. Vielleicht
möchte sie einfach beachtet werden.
Und
zuletzt, “Samuel Boldwin”, Alias "Sammy". Ein junger
Experte auf den Gebieten Computer, Naturwissenschaften und
japanischen Hentai-Artikel. Ein Nerd, wie man so schön sagt. Wenn
man eine Frage über die CYD Technologie, das Virtuell-Vocation
Programm, oder das U.T.O.P.I.A. System hat, dann hat man hier zwei
Leute die man Fragen kann: Prof. Moldwood, und Sammy. Wobei ich mir
nicht sicher bin, wer die aktuellen Informationen früher bekommt.
Sein Rebellischer Charakter spiegelt sich deutlich in seinem Look
wieder. Nicht selten, trägt er T-Shirts mit provokativen
Aufschriften oder generäll kleidund, die nicht zum Anlass passt. Im
Übrigen ist er jemand, der sein Herz auf der Zunge trägt.
Sie
sind Tester, wie ich. Andere Mitarbeiter verirren sich nur selten in
den Abschnitt der Wohnbereiche, der für uns reserviert ist. Mit
Ausnahme von Prof. Moldwood vielleicht.
Im
Raum ertönt plötzlich ein elektronischer "Piep"-Ton. Es
ist Sammys Pad, alle anderen haben ihres nicht dabei. Die Pads haben
wir gleich zu Beginn der Testphase ausgeteilt bekommen, darüber
haben wir Zugriff zu detaillierten Erklärungen über die Abläufe
der Tests, dem Kalender mit allen wichtigen Terminen, dem Memo-Board
und dem Hausinternen Mail-Service. Unsere eigenen
Telekommunikationsgeräte mussten wir vor Betreten der Anlage zur
Aufbewahrung abgeben. Nicht dass wir "versehentlich"
irgendwelche wichtigen Informationen an die Öffentlichkeit
preisgeben.
Fast
zeitgleich betritt “Martha Pires” den Raum. Auch sie gehört zur
Testgruppe.
Martha:
"Wo sind denn alle?"
Ich
schätze die corpulente Frau auf Mitte 30, vielleicht älter. Ihr
dunkler Hauttyp verrät ihre südländische Abstammung. Sie ist
Mutter von zwei Kindern und ausgebildete Krankenpflegerin. Ein Unfall
im Haushalt hat zu ihrer Arbeitslosigkeit geführt und sie ist hier
wegen der guten Bezahlung - wie ich. Das Projekt an sich interessiert
sie nur wenig. Sie wirkt ausgeglichen und ist oft nachdenklich oder
abwesend, aber nicht besorgt. Bei der Wahl ihrer Kleidung scheint sie
mehr Wert auf Bequemlichkeit zu legen, als auf Aussehen, was nicht
bedeutet dass sie sich schlecht kleidet. Eine nette Frau.
Nicolas:
"Die meisten hatten heute eine lange Testreihe, wahrscheinlich
ruhen sie sich aus."
Sammy:
"Oder die schreiben noch ihren Bericht."
Sammy
antwortet während er seine tragbare Spielkonsole weg legt und nach
seinem Pad greift, um nach dem Grund für das Piepen zu sehen.
Martha:
"So spät noch?"
Da
ein Gespräch zu beginnen scheint, empfinde ich das Flackern des
Fernsehers als störend und schalte ihn aus.
Nicolas:
"Das Projekt befindet sich im Endspurt, die oberen Etagen machen
Druck."
Sammy:
"Sogar der Prof' sieht in letzter Zeit gestresst aus."
Völlig
überraschend für alle wacht Raul aus seinem Schlummer auf und
verkündet völlig verpennt:
Raul:
"Hey, ich wollte das zu Ende gucken ...
[...
Wie in aller Welt hat er das gemerkt?] Meine entrüstete Verwunderung
muss mir deutlich anzusehen sein, weil Sammy sich mir zuwendet,
während mit spöttischer Geste sagt:
Sammy:
"Er ist Telekommunikations-"Spezialist", der hat einen
sechsten Sinn für sowas!"
Raul:
"... nnhhh ... Was?"
Sammy:
"Ich sag', du hast gesabbert als du geschlafen hast."
Raul:
" ... Ich hab nicht geschlafen! ..."
Sammy:
"Dann hast du eben gesabbert, als du "nicht"
geschlafen hast."
Raul
wischt sich mit leicht verwirrtem Blick mit dem Ärmel über die
Mundwinkel.
Nicolas:
"Lindsay hat es schon weggewischt, sie hatte Erbarmen mit dir."
Lindsay's
überrumpelter Blick, und Rauls Verwunderung, die er mit seinem
ganzen Körper ausdrückt als er sie anschaut, sind Gold wert. Allein
die Vorstellung, dass sie so etwas tun würde, ist absurd. [Habe ich
übertrieben? ...] Ein Hauch von Lächeln fliegt über Lindsay's
Gesicht als sie sich Kommentarlos wieder ihrem Buch zuwendet. [...
Nein] Sie hatte den Scherz verstanden.
Raul:
"Ja-ja, macht euch lustig über den alten Mann."
Er
sagte es mit gespielter Enttäuschung.
Sammy:
"Da lächelt sogar unsere Eis-Königin ..."
[Das
war jetzt taktlos ...] Aber Lindsay schafft es geschickt zu kontern:
Lindsay:
"Wenn schon, dann Eis-Prinzessin bitte. Ich bin noch zu
jung um Königin zu sein."
Tatsächlich
war sie älter als ich, wirkte aber Jünger.
Martha:
"Mr. Samuel Boldwin, das war jetzt aber nicht nett von dir.
Wärst du mein Sohn, hätte ich dich jetzt schon auf dein Zimmer
geschickt."
Sammy:
"Ooch - sei doch nicht so streng mit mir, Mutti!"
Dieser
Kerl hat ein wirklich freches Mundwerk. Aber obwohl seine Scherze oft
auf Kosten anderer gehen, sind sie meist harmlos, und die meisten
kommen damit klar. Heute Abend hat er es geschafft allen ein Lächeln
zu verpassen. Er hatte diese Eigenschaft, Leute mit seiner Laune
anzustecken. Unangenehm war es, wenn er schlechte Laune hatte ...
Generell
bin ich überrascht wie gut die Meisten von uns miteinander
klarkommen. Immerhin sind wir ein bunt zusammen gewürfelter Haufen
von Leuten, die verschiedener nicht sein könnten. Ob die Psychologen
während dem Auswahlverfahren unsere charakteristische Kompatibilität
berücksichtigt haben?
Wird
der näher rückende Langzeittest diesen empfindlichen Zusammenhalt stärken, oder auf
eine harte Zerreißprobe stellen? [Vielleicht ja beides ...] Immerhin
steht immer noch nicht fest, welches Virtuelle "Environment"
für uns ausgewählt wird. Es ist wohl noch zu früh, um
darüber zu spekulieren.
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