Kapitel 16 - „Dem Schicksal hinterher“
Einige
Sekunden nach Hrotgars beeindruckender Vorführung, kommt ein
weiterer Hund aus einer großen Hundehütte, die im hinteren Teil des
Geheges steht und ersetzt den eben verschwundenen. [Schneller
Respawn!] Jetzt bin wohl ich an der reihe …
Drei
Hunde schauen mich mit erwartungsvollem Blick an. Einer schwarz,
einer dunkel braun und der letzte grau. Ich entscheide mich für den
grauen, da er farblich am besten zu meinem derzeitigen Outfit passt
und visiere ihn an:
{Grauer
Wildhund}
Ich
bringe mich in Position und imitiere dir mir vorgeführten
Handbewegungen. Kurz darauf entsteht in meiner Hand das gleiche
Leuchten, aber viel intensiver. Beim Wildhund ebenso. Ich erinnere
mich dass jemand bei der Besprechung heute morgen etwas in der Art
erwähnt hatte, dass die visuellen Skill-Effekte anderer Spieler
abgeschwächt werden, um in größeren Gefechten nicht den Überblick
zu verlieren. Man sieht nur seine eigenen in voller Intensität. [Ist
sicher praktisch.]
Es
dauert einige Momente, aber dann löst sich das Tier vor mir auf und
wird umgehend wieder durch ein neues Exemplar ersetzt.
???
- „Die Wildnis ist dir Untertan!“
Ich
werde von einer fremde Stimme, mit bekanntem Tonfall überrascht. Als
ich mich umschaue steht hinter mir ein großer, oder eher gesagt
„hoher“, dunkelhäutiger Mann mit pelzigem Outfit. Im Haar und an
manchen Stellen seiner Kleidung ist er mit Federn und bunten Perlen
dekoriert. Die weit geöffneten Augen wirken auf dem Hintergrund der
dunklen Haut als würden sie leuchten. Der Stil seiner Rüstung
wirkt, als ob sie auf Bewegungsfreiheit zugeschnitten wehre und zeigt
viel freie Haut. Wobei ich Bezweifle, dass das für das Spiel von
Relevanz ist. Ich schätze, man könnte auch ein Fass anziehen und es
würden trotzdem nur die Werte zählen.
Nicolas:
„Willkommen im Traum, Fremder.“
Tamirat:
„Nein, Ich komme nicht als Fremder, diesmal trage ich meinen
eigenen Namen.“
Mir
kommt meine letzte Begegnung mit ihm in den Sinn.
Nicolas:
„Ah, dann konntest du dich mit deinem früheren „ich“
vertragen?“
Er
schweigt einen Moment lang. Ich hoffe, dass das jetzt nicht zu direkt
oder unsensibel von mir war.
Tamirat:
„ ... Nein, noch nicht. Aber ich hoffe, dass wir uns am Ende dieses
Traums einig sein können.“
Seine
einfache Ehrlichkeit verblüfft mich immer wieder aufs neue.
Nicolas:
„Das wünsche ich dir!“
Tamirat:
„ … Es scheint, das Schicksal, ruft nach mir.“
Nicolas:
„Hm? … Ach, ja! Der Quest-Marker!“
Tamirat
schaut zuerst auf den Boden und dann zu einem der NPCs, einer leicht
gerüsteten, dunkelhaarigen Frau in der Nähe der Schießstände.
Dann
öffnet sich unerwartet hinter ihm die Tür und es kommt eine Junge
brünette Dame heraus. Es wirkt, als würde sie sich in der engen
Lederrüstung nicht ganz wohl fühlen. Sie macht ein paar zaghafte
Schritte und blickt sich verwirrt um. [Ich hab da so eine Ahnung …]
Ich visiere sie an, und die darauf hin erscheinende Nachricht
bestätigt meine Vermutung:
{Nina
Almberg „Glöckchen“}
[Glöckchen?
...]
Nicolas:
„Hallo Nina. Noch jemand in unserer gemütlichen Runde.“
Nina:
„Hallo ... ahm ...“
Sie
hebt etwas unsicher die Hand und visiert zuerst mich, dann Tamirat an
und ist sichtlich erfreut bekannte Namen zu sehen.
Ein
etwas seltsames Gefühl anvisiert zu werden. Fühlt sich an, wie ein
Einbruch in meine Privatsphäre. Als würde mir jemand in die Seele
gucken. Dabei ist das bloß eine harmlose Geste, nicht schlimmer als
wenn jemand auf mein Namensschild schauen würde. [Dennoch …] Ein
Gefühl des Unbehagens bleibt trotzdem. Und wenn es mir so geht, dann
empfinden es Andere vielleicht ähnlich. Ich sollte vielleicht in
Zukunft niemanden anvisieren, wenn es nicht notwendig ist.
Nina
kommt etwas näher heran. Ihr Avatar ist ein wenig kleiner als ihre
reale Größe und neben Tamirat, der jetzt sicher an die zwei Meter
hoch ist, wirkt sie nahezu winzig. Main Charakter ist mit ein Meter
siebzig schon nicht besonders groß, aber ihrer ist nochmal einen
halben Kopf kleiner. In der maßgeschneiderten, dunkelbraunen
Lederrüstung, die sie über der dunkelgrünen Kleidung trägt, sieht
sie recht niedlich aus, auf eine kindliche Art und Weise. Erst jetzt
bemerke ich die komplexen Muster aus Zöpfen, die sich durch ihr
langes Haar ziehen.
Nicolas:
„Willkommen in der Spielwelt!“
Nina:
„Danke … huh?“
Sie
schaut sich erneut verwirrt um.
Nina:
„Wer spricht da? ... Mein Schicksal?“
Nicolas:
„Keine Panik, das ist nur eine Systemnachricht, die jeder bekommt.
Ich wette, wir werden sie in Zukunft noch öfter hören. Der
glitzernde Pfad zu deinen Füssen führt dich zu deinem nächsten
Ziel. In diesem Fall müsste es die Frau dort drüben sein, oder?“
[Ich
bin selber noch keine zehn Minuten hier und bin schon was am erklären
…]
Nina:
„ … Ja, stimmt.“
Nicolas:
„Na dann viel Vergnügen euch beiden, wenn wir mit dem Tutorial
durch sind, sollten wir mal die Anderen suchen.“
Wir
spalten uns wieder auf. Wehrend sich die beiden Neuankömmlinge zu
den Schießständen bewegen, gehe ich zurück zu Hrotgar um mir
seinen Lob über meine erfolgreiche erste Zähmung anzuhören. Zum
Schluss überreicht er mir eine Brosche mit einem Wolfskopf drauf.
Und erklärt mir wie ich sie anlege. Man platziert Gegenstände in
seinem Inventar, indem man sie entweder in den Rücksack oder eine
beliebige Tasche steckt, oder indem man sie anvisiert mit einer Geste
eine Menü öffnet und sie dort in einen Inventar-Slot zieht.
Die
Brosche steigert meinen Charisma-Wert um eins, was für mich als
Beschwörer sehr nützlich ist, da das mein wichtigster Wert ist und
viele meiner Fähigkeiten Beeinflusst.
Hrotgar:
„Als Nächstes solltest du mit Ramus sprechen. Er wird dir Zeigen
wie du dein Gefolge verwaltest.“
Der
Barbar deutet auf einen Mann in einer schwarzen, offenen Robe, der
nicht weit entfernt auf einer Veranda steht. Der Glitzerpfad passt
sich sofort der neuen Anweisung an.
Auf
meinem Weg zum nächste Quest-NPC, betrachte ich Tamirat und Nina. Es
ist amüsant, wie unterschiedlich ihre Reaktion auf die Spielwelt
ist. Während Tamirat das ganze als völlig selbstverständlich
nimmt, schaut Nina sich die ganze Zeit mit erstaunten Augen um - wie
ein Kind, das zum ersten Mal die Welt erblickt.
Ich
trete auf die Veranda und habe sofort die Aufmerksamkeit des streng
wirkenden Mannes. Er klappt demonstrativ das Buch zu, in dem er bis
eben noch zu lesen schien und beginnt seinen vorprogrammierten
Monolog.
Ramus:
„So, du willst also heute deine Prüfung ablegen. Da du zu mir
kommst, schätze ich, das du deine erste Kreatur schon gezähmt hast?
Ja? … Gut!“
Sein
Buch, die sauber nach hinten gekämmten schwarzen Haare und der
gehobene Ton in seiner Stimme verleihen ihm einen Akademischen
Charakter. Die Wanderstiefel, so wie seine leicht verschlissene Robe,
die er offen trägt und damit einen Blick auf die darunter liegenden
Gürteltaschen und anderes Reise-Equipment erlaubt, lässt hingegen
vermuten, dass er nicht viel Zeit in der Bibliothek verbringt.
Ramus:
„Hrotgar hat dir sicher schon von der Herrschaftskraft erzählt,
eine Fähigkeit des Beschwörers die bestimmt, wie mächtig sein
Gefolge insgesamt werden kann. Aber nicht jede Kreatur in deinem
Gefolge ist auch eine Kreatur im Feld, das müsstest du wissen. Wie
viele Kreaturen du gleichzeitig beschwören kannst, hängt von deiner
Führungskraft ab“
[Noch
ein Skill?]
Ramus:
„Trainiere deine Führungskraft, um das Kampfpotenzial deines
Gefolges zu erhöhen!“
{Neue
Fähigkeit erhalten: „Führungskraft“}
Schon
wieder eine neue Fähigkeit. Die haben in der Klassenbeschreibung
nicht untertrieben, als sie sagten, der Beschwörer sei die
komplexeste Klasse. Das Spiel fängt gerade erst an und es beginnt
schon an kompliziert zu werden.
Ramus:
„Aber jetzt wollen wir zunächst mal sehen, ob du deinen Kreaturen
auch Gestalt verleihen kannst. Stelle zunächst sicher das in deiner
Umgebung genug Platz für die Kreatur ist.“
Er
geht von der Veranda runter und entfernt sich einige Meter. Ich
schätze, ich soll ihm folgen …
Ramus:
„Als nächstes wählst du die Kreatur, die du beschwören möchtest
...“
Er
legt seine linke Hand auf die rechte Schulter und steckt sie dann
nach vorne aus. Dann deutet er mit Zeige- und Mittelfinger auf eine
leere Stelle in der Luft.
Ramus:
„Und zum Schluss wählst du den Ort, wo sie erscheinen soll ...“
Er
deutet auf den Boden, ein paar Meter entfernt. An der Stelle
erscheint ein gewaltiger Beschwörungs-Zirkel, mindestens fünf Meter
im Durchmesser. In ihm formt sich eine Kreatur von entsprechender
Größe. Es vergehen einige Momente bis der Vorgang abgeschlossen ist
und der Zirkel verschwindet, aber am Ende erhebt sich neben dem Mann
eine Imposante, riesige, recht stachelige Echse, die im Licht der
Fackeln rötlich schimmert. Mit seinem langen Hals ist das schwarz
geschuppte Tier locker über zweieinhalb Meter hoch, von wo es mich
mit bernsteinfarbenen Augen bedrohlich anblickt.
Ich
gehe intuitiv einige Schritte zurück und schaue zu Tamirat und Nina
rüber. Die beiden Jäger, die mittlerweile auch Bögen haben,
blicken mit weit geöffneten Augen auf das unnatürliche Wesen. Doch
während Ninas erschrockener Blick sagt: „Ich sehe ein Monster …
“, sehe ich in Tamirats Augen nur einen Gedanken: „Ich sehe
Beute!“. Nicht das er am Ende des Tests nicht mehr aus der
Simulation raus will … [Sollte ich mir sorgen machen?]
Main
Lehrer lässt sich einige lange Momente Zeit, bevor er wieder
spricht. Wohl um mir die Möglichkeit zu geben, das Geschöpf zu
bewundern ...
Ramus:
„Um eine Beschworene Kreatur zurück zu rufen, wählst du sie aus
und befiehlst ihr den Rückzug.“
Er
deutet auf die Echse und legt dann seine Hand wieder auf die
Schulter. Das Wesen stößt einen Gurgelnden Ton aus, nicht als
Bedrohung, sondern eher als Bestätigung für das Kommando und wird
daraufhin von blauen Flamen verzehrt, ähnlich wie beim Zähmen. [Das
Zurückrufen geht viel schneller als das Beschwören ...]
Ramus:
„Jetzt du!“
Nicolas:
„Also gut … „
[Wie
war das … linke Hand auf rechte Schulter … und dann die rechte
nach vorne … ]
Als
ich meine Hand ausstrecke erscheint ein Kreisförmiges Menü um meine
Handflechte herum, dass aber nur zwei Auswahloptionen hat: Ein
Portrait des eben gezähmten Hundes und eine Schaltfläche mit der
Aufschrift {Menü schliessen}. Ich wähle mit der freien Hand meinen
Hund und deute auf den Boden.
Ich
kann förmlich die Blicke meiner beiden Zuschauer im Rücken
spüren...
Mein
Beschwörungszirkel ist erheblich kleiner, ungefähr nur einen Meter
breit. Bläuliche Fragmente beginnen sich aus dem Kreis zu lösen und
nach oben zu schweben, während sich zwischen ihnen die Konturen
eines Hunden formen.
Mit
einem lauten „Woof!“ informiert mich das Tier über den Erfolg
der Aktion. Kurz darauf ertönt seichter Beifall, der mehr nach
Mitleid, als nach Begeisterung klingt.
Nicolas:
„Ja, ich weiß … Aber es kommt eben nicht nur auf die Größe
an!“
[Eigentlich
weiß ich gar nicht, wie mächtig der Hund ist … ]
Ramus:
„Das war schon sehr gut! In der Regel wirst du die Wahl haben,
viele schwächere Kreaturen zu beschwören, oder wenige Starke. Das
hängt von deiner Führungskraft ab. Zähme viele unterschiedliche
Kreaturen und passe deine Gruppe stets den Gegebenheiten an. Ein
Beschwörer sollte stets auf jede Situation vorbereitet sein, dass
ist der Schlüssel zu deinem Erfolg.“
Er
holt von unter seiner Robe etwas hervor und streckt es mir entgegen.
Ramus:
„Hier, dass möchte ich dir auf den Weg geben. Es sollte dir die
ersten Schritte in der Welt da draußen erleichtern.“
Es
ist eine einfache Fell Mütze, deren Form mich am ehesten an einen
kleinen umgedrehten Topf erinnert. Ich lege sie direkt an, die Werte
werde ich mir später ansehen.
Ramus:
„Du hast bewiesen, dass du die Grundlagen verstanden hast. Jetzt
solltest du dich an „Saren“ wenden, er wir dir einige aufgaben
erteilen, um zu sehen ob du dich auch im Feld bewähren kannst. Du
findest ihn in seiner Hütte.“
Ramus
deutet auf das Größte Haus im Hof.
Nicolas:
„Alles klar.“
Auf
dem Weg zu meinem nächsten Ziel werfe ich wieder einen Blick zu
meinen Freunden und bekomme gerade noch mit wie Nina einen Pfeil
abfeuert, der mit einem aufblitzendem Effekt in die Zielscheibe
einschlägt. [Sie lernen auch ihre ersten Skills.]
Als
ich die Hütte betrete, fällt mir als erstes die Dekoration auf.
Eine wilde Mischung aus verschiedenen Fällen, Geweihen, Bögen und
Speeren, die die Wände schmückt. Als Zweites, der strenge Geruch
nach Rauch und Gewürz. In der Mitte des Raumes ist eine Offene
Feuerstelle, über der ein Kessel mit einer Art Eintopf hängt. Neben
dem Topf steht eine junge Frau in gewöhnlicher Kleidung und Schürze,
mit einem Kochlöffel in der Hand. Aber der Schicksalspfad führt
mich an ihr vorbei, zum hinteren Teil des geräumigen Zimmers, wo ein
alter Greis in verschlissener Lederrüstung auf einem gemächlichen
Stuhl sitzt, der ein wenig einem improvisierten Thron ähnelt.
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