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Kapitel
5 - "Inspiration"
Es
ist der nächste Tag.
Ich
war gestern noch länger wach geblieben und bin deswegen heute etwas
müde.
Obwohl
die Sonne schon scheint, ist es draussen noch recht frisch und ich bereue ein
wenig, dass ich mich nicht wärmer angezogen habe. Bis auf das
mechanische Summen der Lüftungsanlage auf dem Dach, ist es ruhig.
Neben
mir auf der Bank sitzt "Tamirat Guambo", ein älterer Afrikaner mit
Rastalocken und dunkler Sonnenbrille. Die lange, verzierte Pfeife in seiner Hand
verbreitet einen bissigen Tabakgeruch, den der leichte Wind mir ab
und zu in die Nase weht. Er ist mit seinen 56 Jahren mit Abstand der
Älteste in unserer bunten Gruppe und einer von denen, deren
Gesellschaft mir am liebsten ist. Für sein Aller hat er noch recht
volles, wenn auch schon graues Haar und er wirkt auch körperlich
recht fit. Aber was ihn wirklich sympathisch macht, ist seine
ausgeglichene und ruhige, ich würde sogar schon sagen "beruhigende"
Art. Nicht selten hört man von ihm nach einer langen nachdenklichen
Pause eine tiefsinnige Überlegung, oder philosophische Bemerkung.
So
wie heute:
Tamirat:
"Es gibt keine Vögel hier."
Ich
wende meinen Blick von den hastig hin und her haschenden
Küchenhelfern ab, die vor uns hinter der Fensterscheibe das
Frühstücksbuffet anrichten, und schau zu ihm rüber. Er hatte schon
eine Zeit lang den Kopf zum Himmel erhoben und das Sonnenlicht
spiegelt sich in seiner schwarzen Brille ab.
Ich
lausche einige Momente ...
Nicolas:
"... Du hast recht."
Tamirat:
"Das hier ist ein unnatürlicher Ort. Man könnte sogar sagen
ein "anti-natürlicher". Die Tiere Spüren das und meiden
ihn."
Ich
sage nichts dazu. Oder besser gesagt, ich weiß nicht was ich darauf
sagen kann. Es klingt mystisch, aber bei näherer Überlegung
könnte er auch Recht haben. Hier ist eine Menge hochentwickelter,
experimenteller Technologie. Es wäre möglich, dass sie irgendwelche
Magnetwellen absondert, die die Tiere wahrnehmen können.
Tamirat:
"Bei mir Zuhause singen die Vögel immer. Den ganzen Tag. Manche
sogar nachts."
Nicolas:
"Klingt nach einer Menge Lärm."
Ich
antworte scherzhaft und er lächelt.
Tamirat:
"Nein ... es ist die eigentliche Ruhe, die natürliche Ruhe.
Viel ruhiger als ... das hier."
Ich
bin mir nicht sicher was er meint. Die Hektik der Leute, den
Stressigen Lebenswandel ... Die Lüftungsanlage auf dem Dach? Oder
etwas anderes, was nur er wahrnehmen kann ... ?
Nicolas:
"Das klingt verlockend, ich würde dich dort gerne mal
besuchen!"
Tamirat:
"Das würde mich freuen, auf meiner Terrasse habe ich einen
Teich mit Fischen und einen Feigenbaum. Man kann dort gut gemeinsam
schweigen."
Nicolas:
"Gemeinsam schweigen ..."
Das
klingt philosophisch, auch wenn ich wieder nicht ganz verstehe wie er
das meint.
Nicolas:
"Du hast nie erzählt, von wo du aus Afrika kommst."
Tamirat:
"Es hat nie jemand gefragt."
Mit
dem afrikanischen Schmuck, dem ungewöhnlich traditionellen
Kleidungsstil und seiner Philosophischen Art steht dieser Mann im
völligen Kontrast zu der technologischen und fortschrittlichen
Umgebung, in der wir uns hier befinden.
...
er wendet sich mir zu und lächelt mich erwartungsvoll an.
Nicolas:
"Also ... woher kommst du genau?"
Tamirat:
"Aah, aus dem sonnigen Senegal, wo die Sterne nachts so tief
hängen, dass man sie beinahe wie Früchte pflücken kann. Ich lebe
in einem kleinen Ort namens "Nguekokh". Das liegt nahe der
Küste. Dort, wo die Palmen zum Rhythmus des Windes tanzen, wenn die
Abendbriese vom Ozean aufkommt."
[Atemberaubend
...] Ich merke wie mir der Atem leicht stockt. Er kann so malerisch
erzählen, so poetisch...
Der
Tabakgeruch vermischt sich nun langsam mit dem Duft von frischen
Brötchen und Kaffee.
Tamirat:
"Mir scheint, das Frühstück ist fertig, dann sollte ich wohl
auch langsam los.”
Er
nimmt den Blindenstock, während er sich gemächlich von der Bank
erhebt. Ich stehe auch auf. In seiner Gegenwart habe ich oft das
Gefühl, dass ich ihm irgendwie helfen müsste, aber er hat das nicht
nötig.
Nicolas:
"Tamirat, wenn ich das Fragen darf ... warum bist du aus so
einem malerischen Teil der Erde hier her gekommen, an diesen ...
Anti-natürlichen Ort?"
Er
bleibt kurz stehen, dann schaut er mit einem, für ihn typischen,
entspannten Lächeln zu mir und erwidert entschlossen:
Tamirat:
"Um zu Träumen!"
Die
Antwort ist überraschend und ich kann mir einen verdutzten
Gesichtsausdruck nicht verkneifen.
Als
würde er meine Überraschung sehen, fährt er erklährend fort:
Tamirat:
"Seit 37 Jahren habe ich diese Welt nicht mehr mit meinen Augen
erblickt, aber in meinen Träumen sehe ich sie noch. Doch sie
verblassen mit der Zeit. Durch die Technik hier, kann ich meinen
Träumen neue Farbe geben."
Eine
so direkte und ehrliche Antwort habe ich nicht erwartet.
Nicolas:
"Dann wünsche ich dir schöne Träume."
Tamirat:
"Dir auch mein Freund. Dir auch!"
Ich bin einer der Ersten in der Kantine.
Diese
Forschungseinrichtung kommt mir immer mehr vor wie eine kleine
Siedlung. Der Wohnblock, die Kantine, ein Kiosk. Sogar eine kleine
Bar, selbst wenn es dort nur alkoholfreie Getränke gibt. Auf der
einen Seite wird Geld in solche Annehmlichkeiten investiert, auf der
anderen Seite sind die Arbeitsbereiche völlig spartanisch
eingerichtet. Ich verstehe nicht, wie sie hier ihre Prioritäten zur
Innenarchitektur setzen.
Sammy:
"Moin, Nic'!"
Sammy
schnappt sich hastig ein Tablett und stellt sich am Buffettisch vor
mich. Das ist typisch für ihn, aber ich rege mich über seine
Frechheit nicht auf, ich finde es sogar ein wenig amüsant. Wenn es
plötzlich jemand anders tun würde, wäre das vermutlich anders.
Nicolas:
"Moin Sam' ..."
Sammy:
"Ausgeschlafen?"
Er
ist auch so kein Melancholiker, aber heute wirkt er noch
aufgebrachter und energischer als sonst. Ich hole Luft um zu
antworten ...
Sammy:
"Ich auch nicht!"
Nach
der tiefgründigen Unterhaltung mit Tamirat, fühlt sich die
Konversation mit Samuel an wie ein Baseball-Schläger.
Sammy:
"Ah! Hast du von heute Morgen schon das Memo gelesen?"
Nicolas:
"Nein, ich hab´ mein Pad oben im Zimmer gelassen."
Sammy:
"Warte - pass auf ..."
Er
kramt aus seiner Umhängetasche sein Pad raus und tippt kurz darauf
rum.
Nicolas:
"Du hast das Ding echt überall dabei, oder?"
Sammy:
"Da, guck!"
Er
hält mir das Pad ins Gesicht. Überrumpelt von der plötzlichen
Aktion, brauche ich einen Moment um zu verstehen was dort dargestellt
ist.
Es
ist ein Memo, das auf die Aktualisierung des Terminkalenders
hinweist. Für heute Nachmittag wurde kurzfristig ein Probelauf
angekündigt um die Kompatibilität des Spiels mit dem U.T.O.P.I.A.
System zu prüfen.
Solche
plötzlichen Ankündigungen sind hier nicht selten, immerhin stehen
wir in ständiger Bereitschaft, auch außerhalb der regulären
Zeiten. Sie könnten uns auch nachts wecken, wenn etwas dringend
genug wäre, allerdings ist das noch nie passiert ... wofür ich
dankbar bin.
Nicolas:
"Das ist mal cool! Aber es ist nur ein Kompatibilitäts-Test,
wird vielleicht nicht so aufregend wie du hoffst.
Sammy:
"Trotzdem, wir können dann schon mal einen ersten Blick aufs
Ingame-Environment werfen."
Während
wir uns unterhalten beladen wir unsere Tabletts mit Brötchen und
Salat und setzen uns anschließend hin. Allmählich finden sich auch
andere hier ein. Die Kantine wird sowohl von uns Testern, als auch
vom übrigen Personal genutzt. Aber das Essen ist nur für uns
kostenlos.
Nicolas:
"Woher willst du das wissen? Vielleicht hängen wir ja auch nur
stundenlang in der Standard Test-Umgebung rum."
Sammy:
"Nein, das ist sicher, ich hab die Entwickler gefragt!"
Nicolas:
"Du hast die...? Warte - das Memo ist doch erst vor 20 Minuten
gekommen ... wann, in aller Welt, hast du bitte die Entwickler
gefragt? Und warum geben die dir überhaupt solche Infos, mit mir
würden die vermutlich nicht mal reden?!"
Sammy:
"Connections man ... connections. Aber die Info ist sicher,
glaub mir! Würdest du dich in den richtigen Kreisen aufhalten,
wüsstest du sowas auch als erster."
Nicolas:
"Und welche Kreise wären da- ... warte ... geht es hier wieder
um dieses "Anime-Figuren-in-Lebensgröße-Fetisch"-Ding?"
???:
"Igitt!"
Alina dreht sich hinter Samuels Rücken zu uns um.
Alina:
"Könnt ihr darüber nicht woanders reden? Leute Essen hier!"
Sammy:
"Was heißt denn hier Igitt? Du hast doch überhaupt keine
Ahnung um was es hier geht!"
Alina:
"Ich will es auch nicht wissen, behaltet eurem Schweins-Kram für
euch!"
Mit
diesen Worten wendet sie sich mit verstörtem Blick wieder um.
Samuel:
"Ignorantin!"
Alina:
"Perverser!"
Ihre
Zankerei ist gespielt, hin und wieder ziehen die beiden sich gern
gegenseitig auf.
Samuel:
"... Wie dem auch sei, ich hoffe wir dürfen uns heute schon
unsere Chars' erstellen."
Samuel
war von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt, wesentlich enthusiastischer als ich. Es gibt wohl nur einen, der sich noch mehr darauf freut als
Sam, und das ist "Collin McBeal".
Collin
ist ein erfahrener CYD Guru. Als Kind von Millionenschweren Eltern
ist es auch nicht schwer, sich einen Ruf mit einem so kostspieligen
Hobby zu verdienen. Es ist offensichtlich, warum er ins Projekt
eingeladen wurde. Er zeichnet sich in Gesellschaft oft durch seinen Schlabbrigen Look und die leicht gebeugte Haltung aus. Meist ist er
unauffällig und hat es nicht eilig sich in den Mittelpunkt zu
drängen.
Manche
sagen ihm nach, dass er verantwortungslos und kindisch ist, und eine
fragwürdige Hygiene hat. Das mag auch stimmen, aber er ist auch
offenherzig und gesellig. Ich habe auch schon erlebt, wie zielstrebig
er sein kann, wenn er sich mal was in den Kopf setzt. generell
verbringen wir nicht häufig Zeit miteinander, da wir nicht viele gemeinsame Interessen haben.
Und
da kommt er auch schon freudestrahlend durch die Tür:
Collin:
"Hey Leute, habt ihr schon das Memo von heute Morgen gelesen?"
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