Kapitel 1 - "Für ein Lächeln"

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Kapitel 1 - "Für ein Lächeln"


   Wachmann: "Guten Morgen, Mr. Nakamura"

Der Wachmann am Schalter, ein robust gebauter Kerl mit buschigem aber gepflegtem Schnauzer in blauer Uniform, hält mir seine Hand entgegen. Ich schlage mit übertriebener Geste ein und schüttele sie, deutlich gegen seinen Willen.

Nicolas: "Guten Morgen David."

De Wachmann verziht keine Mine.

Wachmann: "Sehr witzig ..."

Der Mann mit dem melodischen Namen "David Jackson" gehört zum Wachpersonal der Forschungseinrichtung, in der wir uns gegenwertig befinden. Wir verstehen uns ganz gut, aber ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass wir befreundet sind.

Ein überaus ernster Mensch...

David: "Kommen sie, Sie kennen das Verfahren ... "

Er wird ungeduldig. Natürlich weiß ich was er will. Ich zücke meinen Ausweis aus der Brusttasche und lege ihn in seine immer noch ausgestreckte Hand, worauf hin er ihn über das Datenpad zieht, welches neben ihm auf seinem Schreibtisch liegt. Auf dem Pad erscheint mein Foto mit einigen Angaben.

   [Name: Nicolas Nakamura]
   [Wohnort: Lancaster, Pennsylvania]
   [Geboren am: 17. 04. 2047]
   [Geboren in: New York City]
   [Alter: 26]
   [Größe: 171 cm]
   [...]

Das bin ich. Ein typischer Amerikaner.

Meine japanischen Vorfahren kamen vor mehr als fünf Generationen nach Amerika, und irgendwie hat mein Familienname es geschafft die Zeit zu überdauern. In meiner Blutlinie gibt es sowohl asiatisches, europäisches als auch afroamerikanisches Blut. Mir ist von allem davon etwas anzusehen. Ich scherze gelegentlich, dass ich nicht weiß, ob ich damit gleichzeitig zu allen ethnischen Gruppen gehöre, oder zu gar keiner.

Nicolas: "Er wird immer das Gleiche anzeigen, egal wie oft du ihn über den Scanner ziehst."

Er setzt ein professionell ernstes Wachmann-Gesicht.

Wachmann: "Diese Regeln gibt es aus guten Gründen, Mr. Nakamura."

Nach dem Scannen des Ausweises, schalten die Lichter an der Passage vor mir auf Grün und das aus Gittern bestehende Drehtor wird entriegelt.

Nicolas: "Ich finde, ihr könntet euch alle mal ein wenig entspannen, ist ja nicht so als ob wir hier an chemischen Waffen forschen würden."

Ich bekomme keine Antwort, nur meinen Ausweis zurück und ein müdes Lächeln.




   Der Boden in den Gängen der Anlage ist mit grauem Linoleum gedeckt, die Wände, bis auf die Hinweis-Schilder, weiß. Industrielle Neonlampen beleuchten die sterilen Reumlichkeiten in hellem weiss und große gepanzerte Fenster öffnen den Blick auf eine sauber gemähte Rasenfläche. 
Alles in einem Wort:
"Öde"!
Im gegensatzt zum Wohnkomplex war hier defenitiv kein Innenarchitekt am Werk. Nicht mal Motivationsposter oder Plastickpflanzen.

Seit über zwei Monaten bin ich schon hier und die Gänge sehen aus wie am ersten Tag. Praktisch - funktional - langweilig ...

???: "Nicolas!"

Eine vertraute Stimme holt mich von hinten ein. Ich bleibe stehen und sehe beim umdrehen, wie eine junge Frau hastig hinter mir her trippelt. Obwohl es aussieht als ob sie es eilig hätte, beeilt sie sich nicht wirklich. Ihr Name ist “Alina Karaljowa” und wie ich, gehört sie zu den Testern für das "Virtual-Vacation" Programm. Sie kommt aus Russland, genau genommen aus Wladiwostok und ist her gekommen um im Rahmen ihres Psychologie-Studiums an dem Programm teilzunehmen. Normalerweise ist ihr Kleidungsstil eher aufreizend und gelegentlich sogar gewagt, aber während der Tests trägt sie, wie alle anderen auch, die vorgeschriebene Kleidung, die aus hellgrauem Hemd und Hose bestehen.

Nicolas: "Hi, auch hier?"

Meine Antwort ist knapp, aber freundlich.

Alina: "Ja, weißt du schon was wir heute testen?"

Ihr Englisch ist hervorragend, jedoch kein bisschen Amerikanisch, der russische Akzent ist aber dennoch nicht zu überhören.

Nicolas: "Ich habe vorhin noch mit den Jungs von der Technik geplaudert und sie meinten, dass sie das Problem mit dem "Flimmern" behoben hätten."

Alina: "Wirklich? Das wäre schön, ich empfand das immer als sehr irritierend..."

Das "Flimmern" ... Ein unangenehmer Effekt, verursacht durch das Traum-Paradigma.

Während des CYD,s bekommt das Gehirn die Informationen für die virtuelle Umgebung vom Computer gestellt, sozusagen das "Rohmaterial" und das Traum-Paradigma rundet die Sache ab. Wenn die Roh-Informationen nicht präzise genug sind, springt das Traum-Paradigma ein und interpretiert es mit Informationen aus der Erinnerung des Benutzers. Wenn der Computer zum Beispiel die Information gibt, dass der Boden auf dem man steht aus Holz ist, dann übernimmt das Traum-Paradigma die Anordnung der Jahresringe darauf. Manchmal ist es sich aber nicht sicher, wie die Anordnung der Jahresringe, ihr genauer Farbton, oder andere Kleinigkeiten innerhalb der virtuellen Welt am besten dargestellt werden sollten und schickt mehrere verschiedene Informationen. In einem normalen Traum würde es nicht auffallen. Da es aber ein Wach-Traum ist, fällt es sehr wohl auf. Formen von Steinen, Anzahl an Grashalmen, Texturen bei Kleidung, die in rascher Abfolge zwischen den vorgeschlagenen Varianten wechseln. Daher der Ausdruck "flimmern".

Nicolas: "Irritierend ist das richtige Wort."

Ich unterhalte mich mit Alina über die letzten Tests, während wir durch die trostlosen Gänge wandern. In Grösseren Gesellschaften neigt sie oft lieber zu Small-Talk, man kann mit ihr aber auch überraschen tiefgründige Gespräche zu technischen oder philosophischen Themen führen, was vermutlich an ihrem beruflich orientierten Interesse an dem Projekt liegt.

Das "Virtual-Vacation" Projekt, oder das "Viva", wie die Leute hier sagen, ist die nächste Generation des Cyber-Divings (oder "CYD's") ... Die gegenwertige Technologie erlaubte bislang kein langes Eintauchen. 6,5 Stunden ist derzeit das absolute Maximum, der Stressfaktor für das Gehirn ist einfach zu groß, um länger drin zu bleiben. Zudem kommen noch die offensichtlichen anderen Faktoren, wie Essen oder Toilettengang. Das Vivo verwendet ein anderes Verfahren der Interaktion zwischen Mensch und Maschine, was einem von der psychischen Belastung her erlaubt beinahe endlos im System zu bleiben, zumindest in der Theorie. Ich kenne nicht die technischen Details, aber unterm Strich gewährt es dem Traum Paradigma mehr Freiraum und überlässt damit einen größeren Teil der Rechenleistung dem Gehirn.

"Hellman Interactive Technology" (Abgeleitet von Jonathan Hellman, dem Gründer der Firma) ist der Betreiber dieser Einrichtung und finanziert alles. Die Firma hatte in der Vergangenheit einige kleinere, wenig profitable Projekte. Das "Vivo" ist nun ihr "Heiliger Gral". Wenn es fehlschlägt, kann Hellman Interactive dicht machen.

Obwohl das Viva Projekt noch mitten in der Entwicklung steckt, berichten die Medien schon seit Monaten davon, dass es der nächste technologische Durchbruch sei. ... Völlig albern, wenn man mich fragt! Der Zweck des ganzen ist der längere Aufendhalt in einer digitalen Phabtasiewelt. Seit wann ist es ein Durchbruch vor seinen Problemen davon zu laufen? Aber die Leute glauben es. Und was noch schockierender ist, es wurden bereits mehrere Verträge im Hinblick auf den kommerziellen Vertrieb der neuen Technologie unterzeichnet obwohl noch nicht feststeht ob es wirklich funktioniert.
Aber die technische Abteilung ist zuversichtlich und wenn solche Bugs wie das "Flimmern" behoben sind, kommt für uns Tester die finale Phase: der Langzeit-Belastungstest. Das heißt ...

Nicolas: " ... zwei Monate ununterbrochen im System"

Alina: "Hm?"

Nicolas: "Ich finde es sowohl aufregend, als auch beunruhigend."

Alina: "Ah, du sprichst vom Langzeittest. Bald wird es wohl so weit sein, nicht wahr?"

Nicolas: "Ja, die Techniker arbeiten schnell, solange keine neuen Probleme auftreten, können wir wohl bald damit rechnen."

Alina: "Ist das nicht aufregend? Für uns ist das Quasi ein Urlaub. Wie eine Belohnung nach der harten Arbeit! "Vacation"!"

Sie Strahlt mich an und ich erwidere intuitiv ihr Lächeln. Ich mag es wie sie Lächelt, auch wenn ich mittlerweile weiß, dass das ein Trick von ihr ist. Eine simple Art Leute zu manipulieren: jemandem Sympathie zu vermitteln, und ihn später für seine Ziele einzuspannen. "Könntest du mir helfen?", "Ich weiß nicht wie man das macht...", "Bringst du mir was mit?". Dieses unbekümmerte niedliche Lächeln konnte sich rasch in eine verzweifelte, sorgenvolle Miene verwandeln, die in einem naiven Mann den Beschützerinstinkt weckt. Selbst bei mir, obwohl ich mir dessen bewusst bin. [Warum?] Diese Frage habe ich mir auch gestellt. [Weil ich es zulasse ... Warum lasse ich es zu?] ... ich bin mir nicht sicher, ich schätze ich möchte einfach, dass sie wieder Lächelt. Ich mag wie sie Lächelt.

Nein, sie ist nicht Böse. Sie versteht es einfach ihre weiblichen Vorzüge zu nutzen, wie es die meisten Frauen tun. Nur dass sie es bewusster tut als die anderen, immerhin studiert sie Psychologie.

Nicolas: "Urlaub ... Ja. Wenn alles gut läuft wird es wahrscheinlich so sein."

Alina: "Das klingt aber nicht sehr optimistisch."

Nicolas: "Ich bin auch kein Optimist."

Alina: "Was?! Bist du etwa ein Pessimist?"

Nicolas: "Ich bin Realist!"

Alina: "Das ist doch das selbe!"

Nicolas: "Oooh, das ist nicht mal das gleiche!

Wir zanken uns ein wenig spielerisch, Sie mag das. Anschließend streckt sie resigniert die Zunge heraus ... und lächelt dann wieder.

Alina: "Was bereitet dir denn Sorgen?"

Nicolas: "Nichts spezielles, nur dass wir die ersten sind, die so lange am Stück an eine Maschine angeschlossen sein werden. Es ist unklar, was alles schief gehen kann, oder welche Langzeit-Auswirkungen es hat. Vielleicht hinterlässt es bleibende Schäden, oder wir wachen gar nicht mehr auf ... machst du dir keine Sorgen?"

Das Lächeln in Alinas Gesicht stumpft ab, und ich bereue bereits, dass ich das gesagt habe. Sie Schweigt einen besorgten Moment lang.

Alina: " ... Doch, sicher mach ich mir auch Gedanken ... aber weißt du, ich sehe das von einer anderen Seite: Wenn die Menschen Angst hätten Risiken auf sich zu nehmen, dann würden wir bis heute nicht in Schiffen die Ozeane bereisen, oder in Flugzeugen über den Himmel rasen, oder ins Weltall fliegen...

Die plötzliche Tiefsinnigkeit überrascht mich und ich bin zugegeben etwas baff.

Alina: "... wir sind sozusagen Pioniere! Wenn wir aus der Simulation wieder raus sind, dann können wir uns getrost neben Menschen wie "Kolumbus" oder "Gagarin" stellen und sagen: Ich bin auch ein Pionier!"

Ich kenne den zweiten Namen nicht, aber ich verstehe was sie sagen will.

Nicolas: "Ein Pionier, huh? ... "

Ich gebe es nicht gerne zu, aber der Gedanke ist tatsächlich motivierend.

Andererseits, wenn Eva Angst vor Konsequenzen gehabt hätte, dann hätte sie nie die Frucht probiert und wir würden immer noch im Paradies Leben, aber wenn ich das laut sage wird Alina mich bloß als Miesepeter bezeichnen.

Ich lasse sie durch ein Lächeln wissen das ihre Aufmunterung Erfolg hatte. Und sie erwidert es.


Ich mag es wie sie Lächelt.


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