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Kapitel
2 - "Flimmern"
Der
mittelgroße Raum, in dem wir mit Alina ankommen hat einen subtilen Geruch von Computern
und Desinfektionsmittel - wie immer. Die fünf futuristisch
aussehenden Sessel, die in der Mitte des Raums halbkreisförmig
installiert sind, sin noch nicht belegt.
Wir
werden erwartet ...
Professor:
"Da seid ihr Beiden ja. Ich habe euch etwas früher erwartet."
Nikolas: "Der Wachman war sich meiner Identität nicht sicher."
Der
ältere Mann im klassischen weißen Kittel ist "Prof. Moldwood". Er erwidert meinen offensichtlichen Scherz mit einem Schmunzeln.
Bevor er zu "Hellman Interactive" kam, war er an einem
Schlafforschungsinstitut in West-Europa tätig. Seine primäre Aufgabe hier ist es, sicherzustellen das wir währen der Tests nicht zu schaden
kommen. Alle Testläufe an denen wir teilnehmen, müssen erst von
ihm unterzeichnet werden. Trotz Halbglatze und grauem Bart schafft er
es irgendwie jugendlich zu wirken. In seiner Persönlichkeit
verbindet sich die Weisheit eines alten Mannes mit ddie Unbeschwertheit der Jugend. Bei einem Pokerspiel während der
Wartungsarbeiten am Haupt-System sagte er mal, dass er nie gegen die
Vorschriften verstößt, er interpretiert sie gelegentlich nur anders. Er ist der
einzige hier in der Einrichtung der, ganz offen, eine persönlichere
Beziehung zu den Testern unterhält. Er ist auch der einzige, der uns
beim Vornamen nennt. Alle anderen halten eine "professionelle
Distanz" ein. Ich respektiere ihn.
Hinter
ihm sitzen an einer Konsole zwei seiner Assistenten. Wir begrüßen
uns förmlich.
Nicolas:
"Heute nur wir?"
Professor:
"Ja, für diese Testreihe braucht man nicht viele Leute, ich
denke wir packen das. Bitte ..."
Er
schwenkt seine Hand einladend in Richtung der Sessel. Wir kennen die
Prozedur und setzen uns in die Schalenförmigen Sitzflächen. Die Assistenten beginnen sogleich mit geübten Handgriffen damit, uns an das Equipment anzuschliessen. Das
meiste davon sind an Messgeräte angeschlossene Elektroden, die
unsere gesundheitliche Verfassung überwachen sollen. Die
“Arbeitskleidung”, die wir tragen, vereinfacht und beschleunigt den Prozess
erheblich, da es unauffällige Schlitze und Öffnungen hat, durch die
es leichter ist die Sensoren am Körper anzubringen. Manche
Messgeräte sind sogar schon im Vorfeld in der Kleidung integriert.
Der
wichtigste Teil kommt zuletzt: Eine in den Sitz montierte Apparatur,
die den Kopf und den Nacken beinahe vollständig umfasst. Es hat
einen langen Namen den sich keiner von uns merken kann, also nennen
wir ihn liebevoll "Taucherhelm", obwohl mich seine Form
immer eher an eine ungeschickt geschälte Zwiebel erinnert. Die ganze Prozedur hat etwas Medizinisches an sich.
Während
wir angeschlossen werden, erklärt uns der Professor wie die Tests
verlaufen würden:
Wir
müssten in die Simulation eintauchen, wo uns vom System verschiedene
virtuelle Testobjekte präsentiert würden. Wir sollten uns die
dargestellten Formen genau anschauen und nach Verlassen der
Simulation unsere Eindrücke so präzise wie möglich schildern.
Danach würden wir wieder eintauchen und die nächste Reihe an
Objekten betrachten, und so weiter.
Das
ständige Ein- und Auftauchen in die Simulation ist notwendig, da man
von außen nicht genau mitverfolgen kann was wir innerhalb der
Simulation erleben. Ebenso ist es nicht möglich mit den Benutzern
(also mit uns) zu kommunizieren, während wir drin sind. Der
Professor erklärte uns mal, dass es dann so wäre als ob man
jemanden aufwecken wollte. Bei solch massiven Eingriffen könnte das
Traum-Paradigma unerwartet reagieren. Das System ist noch nicht
ausgereift genug um sowas in Echtzeit kompensieren zu können. Die
Folgen könnten Schock, Trauma, und sogar Hirn-Schädigungen
verursachen. Daher ist im System ein Blocker installiert, der die
Wahrnehmungs-Sinne der Benutzer vollständig abblockt.
Professor:
"Seit ihr soweit?"
Alina
nickt.
Nicolas:
"Wir können."
Der
Professor nickt seinen Assistenten zu und betrachtet dann wie sich
die Anzeigen auf der Konsole vor ihm verändern. Ich verspüre ein
bekanntes Kribbeln im Nacken und eine plötzliche Müdigkeit
überkommt mich. Einzuschlafen und dabei wach zu sein ist ein
seltsames Gefühl. Es ist als würde ich tief in einen grenzenlosen
Ozean abtauchen. Das beklemmende Gefühl der Unsicherheit und
Zeitlosigkeit schleicht sich in mich hinein. Obwohl ich weiß, dass
es nur ein paar Momente dauert, fühlt es sich an wie eine Ewigkeit.
Die eintretnde Dunkelheit formt sich zunehmend zu einer grauen, wabernden
Masse. Plötzlich formen sich die Konturen eines Raumes um mich herum
und ich gleite auf den Boden - zumindest wollte ich das, aber ich bin
in diesem Test körperlos. Das Gefühl der Unbehaglichkeit, die in
Träumen normal ist, verfließt allmählich - das System kompensiert
es. Die Konturen werden klarer, ich bin in einem leeren Raum, der gut
beleuchtet ist, obwohl es keine Lichtquelle gibt. Ich befinde mich in
der Standard-Test-Umgebung. Wenn Alina hier ist, sehe ich sie nicht.
[Alina?]
ich wollte nach ihr rufen, aber ich habe keine Stimme.
Plötzlich
erscheinen vor mir, ohne Vorwarnung, eine Reihe geometrischer Objekte
- sie wirken gigantisch. Ich habe es bis jetzt nicht realisiert, aber
ohne Bezugspunkt auf die eigene Größe weiß ich nicht wie groß die
Umgebung ist. Bisher gab es in der Testumgebung immer zumindest ein
simples Möbelstück, wie einen Stuhl, oder einen Tisch, daran konnte
man sich orientieren und einschätzen wie groß man selber ist.
Ich
versuche mich wieder auf den Test zu Konzentrieren...
Die
Objekte von links nach rechts sind: Eine Kugel, eine Pyramide, ein
Würfel und ein Stern. Die Kugel und der Würfel sind deutlich, aber
die Pyramide und der Stern wechseln ständig zwischen verschiedenen
Varianten. Mal ist es eine 3 seitige Pyramide, mal eine 4 seitige.
Das gleiche ist es mit der Anzahl der Zacken beim Stern.
Das
sogenannte "Flimmern".
Das
Licht im Raum wird nun langsam schwächer, das ist das vereindarte Signal, dass
wir aus der Simulation wieder auftauchen - früher als ich erwartet
habe. Die Objekte und der Raum verblassen, bis alles nur noch einer
grauen Masse ähnelt. Mich überkommt ein beflügelndes Gefühl des
Auftauchens.
???: "
... -a sind sie wieder!"
Meine
Sinne setzen einer nach dem anderen wieder ein. Die Stimme die ich
höre ist fröhlich, aber nicht die des Professors. Ich brauche einen
Moment, aber dann schaffe ich es sie einzuordnen. Ich spüre wie die
Kontrolle über meinen Körper zu mir zurück kommt und ich öffne
die Augen. Vor mir stehen eine Reihe Anzugträger. In der Mitte ist
ein schlanker Mann durchschnittlicher Größe mit gesunder Bräune.
Seine Haare sind so stark lackiert, dass sie metallisch wirken. Er
trägt den geschwollenen Namen: "Marcel Sylvano" und ist
einer der leitenden PR-Leute von "Hellman Interactive Tec.".
Er ist einer der immer höflich ist, immer Taktvoll und immer lächelt
...
Ich
kann ihn nicht ausstehen!
Er
erinnert mich an diese Auskunft-Androiden an Bahnhöfen und
Flughäfen. Du kannst sie treten und beleidigen und sie lächeln
trotzdem.
[Seelenlos]
...
Ich
werfe dem Professor einen fragenden Blick zu, worauf er nur
unschuldig mit den Achseln zuckt.
M.
Sylvano: "Das sind sie! Unsere mutigen Pioniere ... "
[Pioniere]
... Es klang besser als Alina es sagte ... überzeugender.
M.
Sylvano: "... die uns den Sprung in die nächste Stufe
der technologischen Evolution ermöglichen ...”
[Sprung
in der technologischen Evolution...] Ich kann auf Anhieb gar nicht sagen
wie viele Widersprüche in diesem Satz sind ...
M.
Sylvano: "... Wahre Helden!"
[...
Ich hasse ihn! ...]
M.
Sylvano: "Würdet ihr uns die Güte erweisen und uns
verraten, wie die Tests soweit verlaufen?"
Am
liebsten würde ich dem jetzt so richtig eine reinwürgen und alle
Bugs aufzählen die den Programmierern noch schlaflose Nächte
bereiten, und dann zusehen wie sein Gesicht anfängt zu "flimmern"!
Alina:
"Alles bestens!"
...
Ich glaube, sie hat uns grade alle vor einer sehr unangenehmen
Situation gerettet ...
M.
Sylvano: "Alles bestens! ..."
Sylvano
dreht sich mit triumphaler Pose zum Rest des Publikums um, während
er die Phrase pompös und laut wiederholt.
M.
Sylvano: "... Wie sie hören, ist das Projekt in den
besten Händen."
[Als
wäre das sein Verdienst.]
M.
Sylvano: "Lassen wir die Herrschaften nun
weiterarbeiten, wir wollen dem Fortschritt doch nicht im Wege
stehen!"
Mit
dieser überschwänglichen Ankündigung verlässt die Gruppe den Raum
und ein kurzer Moment der Stille entsteht.
Nicolas:
"Mal im Ernst, hört der Kerl sich eigentlich selber manchmal
zu?"
Professor:
"Sie zählen die Küken ehe sie geschlüpft sind...”
Prof.
Moldwood lehnt sich wieder über die Konsole und schaut sich die
angezeigten Daten an.
Professor:
"Technologische Evolution ... also wirklich ..."
Er
hatte es wohl auch bemerkt.
Nicolas:
"In Sprüngen Professor, in Sprüngen!"
Ich
kann mir den Sarkasmus nicht verkneifen. Der Professor öffnet den
Mund um darauf zu antworten, aber Alina, die sich auf ihrem Sitz
zusammengekauert hatte, kommt ihm zuvor ...
Alina:
"Hast du bemerkt wie sie uns ansahen?"
Das
war an mich gerichtet.
Alina:
"Als wären wir Versuchskaninchen hinter Glas."
Die
Art wie sie es sagte war bedrückend. Es war mir nicht aufgefallen,
aber wenn ich mir die Gesichter nochmal vor Augen führe, dann muss
ich ihr Recht geben. Es waren die Blicke eines Kunden, der an einem
Verkaufsstand, mit gerümpfter Nase, die Ware inspiziert.
[Unheimlich
... ]
Gerade
als mir klar wird, dass ich nicht weiß was ich darauf antworten soll
...
Professor:
"So ein Unsinn! Es sind verschnöselte Geschäftsleute, es
gehört zu deren Job, so zu gucken. Ihr seid doch keine
Versuchskaninchen, ihr seid "Tester". Das Versuchskaninchen
hier ist das "Utopia System"!
Nicolas:
"Utopia?"
Professor:
"Ja, das System mit dem wir hier arbeiten."
Diese
Information war für mich neu.
Nicolas:
"Dann hat es jetzt endlich einen Namen?"
Alina:
"Ja, hast du es noch nicht gehört? U.T.O.P.I.A. - steht für -
"Universal Terminal Of Prediction and Interpretation
Advancemant."
Sie
zitiert es mit erhobenem Finger, wie eine Lehrerin, die ihre Schüler
belehrt.
Nicolas:
"Dass du das aussprechen kannst, ohne dir die Zunge zu brechen
..."
Sie
grinst mich darauf hin stolz an und ich bin erfreut, dass sich ihre
Laune wieder bessert.
Professor:
"So, meine Lieben, lasst uns weiter machen. Die Herrschaften von
eben wollten unbedingt den Aufweck-Prozess sehen, also holten wir euch
vorzeitig raus. Es tut mir leid, aber ich fürchte wir müssen den
Test nochmal wiederholen. "
Nicolas:
"Ja, was das angeht ... können wir nicht, wie sonst auch,
irgendein Möbelstück im Raum platzieren, als Bezugspunkt für die
eigene Größe?"
Ich
teile mein vorheriges Unbehagen mit, und meine Bitte wird umgehend
gewährt.
Die
Nächsten Stunden vergehen unspektakulär, wir Tauchen in die
Simulation ein und wieder auf, als wäre es ein Schwimmkurs. Zuerst
testen wir einfache Objekte, dann zunehmend komplexere Gebilde, dann
Farben und Muster, dann Geräusche, Tastempfindungen und zum Schluss, Geschmack. Nach dreieinhalb Stunden, als sowohl ich als
auch Alina völlig ausgelaugt sind, verkündet der Professor die
befreienden Worte:
Professor:
"So, ich denke jetzt haben wir alle Daten die wir brauchen. Ich
danke euch, ihr habt tapfer durchgehalten. Den Rest machen wir hier
selbst, gönnt euch etwas Erholung."
Auf
dem Weg zurück zum Wohnbereich hatte keiner von uns beiden Lust sich
zu unterhalten. Überraschenderweise ist das zermürbendste während
den Tests nicht die Analyse innerhalb der Simulation, auch nicht die,
gelegentlich sehr schwierigen, Schilderungen der Eindrücke, sondern
der ständige Auf- und Abtauch-Prozess an sich.
Ich
fühle mich, wie nach einer ewig langen Autofahrt am Steuer.
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